[Getreidezüchtungsforschung Darzau]

  MÜLLER,K.J.(2002): Wege und Ziele einer ökologischen Pflanzenzüchtung – Aktueller Stand der internationalen Diskussion. Ein Beitrag zum Workshop "Züchtungsforschung, Pflanzenzüchtung und Ökologischer Landbau" am 22./23. Nov. 2001 an der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen, Quedlinburg. IN: Beiträge zur Züchtungsforschung, 8.Jahrgang, Heft 1, 24-26, ISSN 0948-5538.

Wege und Ziele einer ökologischen Pflanzenzüchtung –
Aktueller Stand der internationalen Diskussion
Karl-Josef Müller

Bemühungen um die Züchtung von Pflanzen unter den Bedingungen einer biologisch-dynamischen Landwirtschaft gab es bereits kurze Zeit nach dem von Rudolf Steiner 1924 in Koberwitz abgehaltenen Kurs über „Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“. Aus dieser Zeit stammen auch Anregungen zur Beschäftigung mit Wildgräsern, Einkorn und Roggen. Über Jahrzehnte konnten diese Arbeiten nur in sehr bescheidenem Umfang durchgeführt werden. Erst mit dem Beginn der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen und mit der Entscheidung, solche Organismen für die ökologische Erzeugung auszuschließen, entwickelte sich auch ein zunehmendes Interesse für die ökologische Pflanzenzüchtung. Um insbesondere den konventionellen Züchtern eindeutige Richtlinien an die Hand zu geben, wurde von den Niederlanden ausgehend im Jahr 1995 ein europäischer Einigungsprozess eingeleitet, an dem in erster Linie Vertreter des ökologischen Landbaus, aber auch Vertreter konventioneller Züchtungsunternehmen und Züchtungsforscher beteiligt waren. Je nach Land verschieden wurden die Diskussionen in unterschiedlichem Ausmaß und unter den unterschiedlichsten Blickwinkeln geführt. Es spielten ökologische, methodische, gesundheitliche, soziale, gesellschaftspolitische, ökonomische und spirituelle Gesichtspunkte eine Rolle.

Am 17./18. Oktober 2001 fand der bisher letzte internationale Workshop in Driebergen/NL statt, um die Grundlagen für die Richtlinienentwicklung für eine „Ökologische Pflanzenzüchtung“ zu erarbeiten. Diese Richtlinie wird nun dem IFOAM-Standards-Komitee und dem niederländischen Landwirtschaftsministerium vorgelegt werden. (IFOAM = International Foundation of Organic Agricultural Movements)

Für eine „Ökologische Pflanzenzüchtung“ wurden folgende drei Kriterien zugrunde gelegt:

1. Ökologische Züchtungsprinzipien, die an den Prinzipien einer ökologischen Landwirtschaft ausgerichtet sind,
2.
Kontroll- und Nachweisfähigkeit,
3. P
raktikabilität.

Zu 1. Ökologische Züchtungsprinzipien, die an den Prinzipien einer ökologischen Landwirtschaft ausgerichtet sind

„Ökologische Sorten“ sollen

- fertil sein und sich unter ökologischen Anbaubedingungen fortpflanzen können,

- an ökologische Anbaubedingungen angepasst sein, was beispielsweise beinhaltet: Nährstoffeffizienz, ausgeprägte Wurzelentwicklung, nachhaltige Toleranz gegenüber Krankheiten und Schädlingen, pflanzeneigenes Beikrautunterdrückungsvermögen wie beispielsweise durch Beikrautbeschattung,

- unter Respekt (von Seiten des Züchters) gegenüber der genetischen Diversität (z.B. regional- oder verwendungszweckspezifische Begrenzungen) und der Authentizität der Art (z.B. natürlicher Artgrenzen) entwickelt worden sein.

Zu 2. Kontroll- und Nachweisfähigkeit

Die züchterischen Verfahrenstechniken zur Etablierung bestimmter Eigenschaften sind im Gegensatz zu den Eigenschaften in vielen Fällen an der Sorte selbst nicht nachprüfbar. Es ist auch schwer festzulegen, wo der Anfang einer Sorte liegt und welche Eltern und Zuchtmethoden in den vorhergehenden Generationen eingesetzt wurden.

GMO (Genetically Modified Organism), CMS-Hybride (Cytoplasmic Male Sterile) ohne Restorer, Sterilitäten und  F1-Hybride werden in diesem Sinne als nachweisbar, Protoplastenfusion und künstlich ausgelöste Mutationen als nicht nachweisbar angesehen.

Die Tatsache, dass eine in der Züchtung eingesetzte Verfahrenstechnik analytisch nicht nachweisbar ist, bedeutet aber nicht, dass diese nicht ausgeschlossen werden kann, denn die Kontrolle des ökologischen Landbaus beruht wesentlich auf einer Verfahrenskontrolle. In Übereinstimmung mit EG 2001/18 wird die Protoplastenfusion der Gentechnik zugerechnet.

Zu 3. Praktikabilität

Die Unterscheidung in „zulässige“ und „unzulässige“ Züchtungsmethoden und Verfahrenstechniken sollte über ausreichend lange, den Züchtungsprozessen angemessene Zeiträume Gültigkeit besitzen.

Um eine größtmögliche Klarheit für Züchter, Landwirte und Verbraucher zu schaffen, wird unterschieden in:

a)      „ökologische Sorten“ und dafür zugelassene bzw. ausgeschlossene Methoden

b)      „ökologisches Saatgut“

c)      im ökologischen Anbau komplett ausgeschlossene Methoden und Verfahrenstechniken

 

Die Integrität der Pflanzen -
Zur Definition eines Konzepts für „Ökologische Pflanzenzüchtung“

Ziel einer „Ökologischen Pflanzenzüchtung“ ist die Entwicklung von Pflanzen, die das Potential des „Ökologischen Landbaus“ und die „Biologische Vielfalt“ steigern. „Ökologische Pflanzenzüchtung“ ist ein ganzheitlicher Ansatz, der die natürlichen Kreuzungsgrenzen respektiert und der sich auf fortpflanzungsfähigen Pflanzen gründet, die ein lebendiges Verhältnis zu einem lebendigen Boden herstellen können.

Zur Definition „ökologischer Sorten“

Eine ökologische Sorte ist eine Sorte, die aus Züchtungsmethoden hervorgegangen ist, welche dem Konzept für eine ökologische Pflanzenzüchtung angemessen sind. Sie ist das Ergebnis einer zertifizierten ökologischen Züchtung.

Ökologische Pflanzenzüchtung und ökologische Sorten setzen Züchtung und Vermehrung unter ökologischen Anbaubedingungen voraus.


Zur Definition „ökologischen Saat- und Pflanzgutes“

Ökologisches Saat- und Pflanzgut wurde für mindestens eine Generation unter ökologischen Anbaubedingungen vermehrt. Es stammt von Sorten, die keiner zertifizierten Züchtung entspringen, denen aber auch keine für eine ökologische Erzeugung ausgeschlossene Techniken zugrunde liegen dürfen. (Die Anzahl der Generationen wird als künftig schrittweise angemessen erweiterbar angesehen. Langfristig sollte ein Übergang zur ausschließlichen Verwendung „ökologischer Sorten“ erfolgen. Dieser Übergang sollte nach der jeweiligen Verfügbarkeit für jede Kultur spezifisch stattfinden.)


Für ökologischen Anbau, Saatgut, Sorten und Züchtung ausgeschlossene Techniken

-         Gentechnische Methoden und Protoplastenfusion (entsprechend bisheriger Richtlinien)


Für „ökologische Pflanzenzüchtung“ ausgeschlossene Techniken

Der ökologische Landbau strebt nach einem weitgehend geschlossenen Betriebskreislauf als lebendiger, ökologischer Einheit und berücksichtigt in seinen Produktionsweisen den lebendigen Organismus als kleinste lebendige Einheit. In der Biologie wird demgegenüber die Zelle üblicherweise als kleinste lebende Einheit angesehen. Eine Ökologische Züchtung erlaubt prinzipiell zunächst keine Techniken unterhalb des Zellniveaus.

-         Antherenkultur und Mikrosporenkultur

-         CMS Hybridisierung ohne „Restorer“

Radioaktive Bestrahlung wird bereits in der Erzeugung ökologischer Lebensmittel ausgeschlossen und soll auch für eine ökologische Pflanzenzüchtung ausgeschlossen werden.

-         Radioaktive Bestrahlung und bestrahlter Mentorpollen

-         Mutationsauslösung mit radioaktiver Bestrahlung und Mutagentien

Patente auf Pflanzen, welche die weitere Verwendung von Pflanzen in der Züchtung ausschließen und auf diese Weise zu einer Verengung der genetischen, biologischen und kulturellen Vielfalt beitragen, werden für eine ökologische Pflanzenzüchtung als nicht angemessen angesehen.

-         Patentierung


Für „ökologische Pflanzenzüchtung“ zugelassene und bedingt zugelassene Techniken

-         Massenselektion

-         Stammbaum-Selektion

-         Umgebungswechsel

-         Saatzeitpunktwechsel

-         Ährenbeetmethode

-         Kombinationszüchtung

-         Sortenkreuzung

-         Wiederholte Rückkreuzung

-         Testkreuzungen

-         Zerteilen von Knollen und Zwiebeln

-         Verwendung von Ablegern, Stecklingen, Pfropfreisern

Vorgenannte werden für eine ökologische Pflanzenzüchtung zugelassen.

 

-         Hybride

Ausgehend vom Konzept für eine „Ökologische Pflanzenzüchtung“ kann die Hybridzüchtung erlaubt werden, vorausgesetzt die F1 ist fruchtbar und die Eltern zur Erzeugung der F1 können vollständig unter ökologischen Anbaubedingungen erhalten werden.

Vertreter des biologisch-dynamischen Landbaus und die Vertreter aus der Schweiz befürworten den kompletten Ausschluss von Hybridsorten für eine ökologische Züchtung unter Qualitätsgesichtspunkten einerseits und sozial kulturellen Aspekten andererseits.

 

-         DNA Markergestützte Selektion

DNA-Markergestützte Selektion wird unter der Voraussetzung zugelassen, dass für die Markertechnik weder Enzyme von gentechnisch veränderten Organismen noch radioaktive Substanzen eingesetzt werden.

 

-         Meristemkulturen

Meristemkulturen werden für die Virusfreimachung von im Anschluss unter ökologischen Bedingungen zu vermehrenden Pflanzen und soweit erforderlich für den grenzüberschreitenden Verkehr zugelassen.

 

Rechtliche Umsetzung der Richtlinien und Behandlung der Zeiträume vor und nach dem Datum, an dem die Richtlinie in Kraft gesetzt wird.

Die für eine „Ökologische Pflanzenzüchtung“ ausgeschlossenen Methoden sollen vom Zeitpunkt der Aufnahme des Entwurfes in die IFOAM-Basis-Richtlinie für die Entwicklung „Ökologischer Sorten“ verboten sein. (Dies wird für den 28.August 2002 erwartet)

Danach dürfen nur noch Sorten und Pflanzen, die vor diesem Datum registriert wurden oder auf dieses Datum zurückverfolgt werden können, für eine ökologische Pflanzenzüchtung verwendet werden, sowie solche Sorten, die im Sinne einer ökologischen Pflanzenzüchtung zertifiziert wurden. (Im Rahmen der bisherigen Überlegungen und Abstimmungen konnte noch nicht geklärt werden, unter welchen Bedingungen und über welche Zeiträume nach diesem Datum eine Aufnahme von nicht oder nicht mehr zertifizierbaren Sorten oder Pflanzen in eine ökologische Pflanzenzüchtung erfolgen kann.)

Von dieser Regelung ausgenommen werden einerseits Sorten und Pflanzen, die unter Verwendung von Techniken entwickelt wurden, welche bereits vor diesem Datum ausgeschlossen waren und es insofern bleiben, und andererseits alle bis dahin noch nicht registrierten Wildpflanzen, die auch nach diesem Datum noch registriert und zugelassen werden können.


Abschließendes

Das hier Dargelegte ist zum aktuellen Zeitpunkt (22./23.Nov.2001) noch nicht zur Richtlinie geronnen, sondern der heutige Stand der Auseinandersetzungen. Es sollte aber unmissverständlich klar geworden sein, dass eine ökologische Pflanzenzüchtung ökologische Anbaubedingungen für die Durchführung der Züchtung voraussetzt. Viele der praktisch angestrebten Zuchtziele werden sich daraus ergeben. Einige wurden bereits unter den Züchtungsprinzipien aufgeführt. Die Bedeutung mancher Eigenschaften, die infolge einer Vermehrung unter den Bedingungen einer konventionellen Bewirtschaftung verdeckt sind, wird deutlicher hervortreten. Der von Klima, Geologie und betrieblicher Bewirtschaftung abhängige Bodenstoffwechsel mit seiner standortdifferenzierenden Nährstoffdynamik wird spezifischer angepasste Sorten erfordern. Dies betrifft insbesondere Eigenschaften, die von der Nährstoffdynamik in hohem Grad abhängig sind, wie beispielsweise die Verarbeitungseigenschaften von Weizen. Samenbürtige Krankheiten werden mangels Unterdrückung wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Durch Beschattung zu hemmende Beikräuter oder die Regulierung bestimmter Untersaaten erfordern eine spezifischer angepasste Morphologie und Wachstumsdynamik der jeweiligen Kulturen. Der weitgehende Verzicht auf Hilfsstoffe in der Lebensmittelverarbeitung begünstigt die Berücksichtigung von kulturartspezifischen Geschmacksunterschieden und Eigenheiten. Sofern nicht zuletzt Mensch und Natur unter dem Gesichtspunkt ihrer menschheitlichen Entwicklung in den Mittelpunkt des züchterischen Bemühens gestellt werden können, bietet eine „Ökologische Pflanzenzüchtung“ zum aktuellen Zeitpunkt die Möglichkeit, einen etwas anderen Weg im Zusammenwirken von Mensch und Kulturpflanze unter Offenlegung aller angewandten Verfahren einzuschlagen.

[Getreidezüchtungsforschung Darzau]