BSE-Krise, Verbraucherverunsicherung und ihre Folgen
Reimar v. Alvensleben
Erschienen in "Agrarwirtschaft" Heft 6 (1997)
Wenn Unternehmen ihre Produktmarken im Wahrnehmungsraum der Verbraucher positionieren, so nutzen sie dabei eine grundlegendende Erkenntnis der Lerntheorie, nämlich das Lernen nach dem Kontiguitätsprinzip: Bietet man einen zunächst noch neutralen Reiz (z.B. einen Markennamen, ein Markenzeichen) wiederholt gemeinsam mit einem emotionalen Reiz an (z.B. einer schönen Landschaft, einer Situation oder Handlung, die angenehm empfunden wird), so werden die Eigenschaften des emotionalen Reizes auf den neutralen Reiz übertragen. Die Marke wird emotional positioniert, sie weckt angenehme Assoziationen. Am Fleischmarkt findet - u.a. bedingt durch die BSE-Krise - seit einiger Zeit ein vergleichbarer Prozess mit allerdings gegenteiliger Wirkung statt. Die Begriffe Rindfleisch, Fleisch oder Tierhaltung werden häufig im Kontext mit negativen Begriffen, Ereignissen und Bildern genannt. Die Folge ist, daß das Wort Fleisch bei den meisten Verbrauchern fast nur noch negative Assoziationen weckt (v. Alvensleben, 1994).
Um die einmal geschaffene emotionale Qualität und den Bekanntheitsgrad einer Marke zu sichern, ist eine laufende Aktualisierungswerbung erforderlich, d.h. Markenwerbung ist ein ständiger Kampf gegen das Vergessen. Auch bei Lebensmittelskandalen kann man auf Vergessensprozesse setzen (Beispiel: Fischnematoden). Deshalb ist es oftmals ratsam, solche Krisen einfach auszusitzen. Der Versuch, den Verbraucher durch Information aufzuklären, ist sehr riskant, da defensive Aufklärungsinformationen in der Regel mit einer Aktualisierung der Negativinformation verbunden sind und damit den Vergessensprozess aufhalten. Darüber hinaus können Aufklärungsinformationen nur dann die gewünschte Wirkung haben, wenn die Kommunikatoren sympathisch, vertrauenswürdig und kompetent sind - eine Bedingung, die oft schwer erfüllbar ist.
Die BSE-Krise ist allerdings kein einmaliges Ereignis, das einem schnellen Vergessensprozess unterliegt. Die Krise zieht sich inzwischen über Jahre hin. Immer neue Aktualisierungsschübe führen dazu, daß sich die negativen Assoziationen mit dem Begriff Fleisch verstärken. Die Wirkung wird umso nachhaltiger sein, je länger die Bevölkerung den Aktualisierungsreizen ausgesetzt ist und je intensiver diese Reize sind. Hierbei wird die Wirkung bei jungen Leuten, deren Einstellungen und Verhalten noch nicht so verfestigt sind, im Durchschnitt stärker sein als bei älteren. Es werden somit auch Kohorteneffekte ausgelöst.
Wie wirkt sich diese Verunsicherung der Verbraucher auf deren Verhalten aus? Zunächst ist festzustellen, daß die Deutschen "Weltmeister" im Mißtrauen gegenüber ihren Lebensmitteln sind, wie eine vergleichende Untersuchung in den USA und in 16 westeuropäischen Ländern gezeigt hat (Food Marketing Institute, 1995). Dennoch essen sie gut und reichlich. Das Konsumentenverhalten bei Nahrungsmitteln ist weitgehend habituell. Konsumgewohnheiten ändern sich nur langsam. Sehr wahrscheinlich ist die Verbraucherverunsicherung mehr eine Folge der Marktsättigung und weniger deren Ursache (v. Alvensleben, 1995). Dennoch sind die negativen Auswirkungen der BSE-Krise auf den Rindfleischverbrauch deutlich sichtbar. Da die Konsumenten jedoch ausweichen, profitieren davon andere Produkte wie Schweine- und Geflügelfleisch, Fisch, Käse und Ökoprodukte, vielleicht auch Produkte aus der Region oder aus Deutschland, der Direktabsatz und z.T. sogar der Metzger. Alle diese Substitutionswirkungen sind schwer zu quantifizieren. Sicherlich fördert aber die BSE-Krise die ohnehin seit vielen Jahren stattfindende Veränderung der Konsumgewohnheiten, die zu einer Verminderung des Fleischanteils in unserer Nahrung führt - eine Entwicklung, die von vielen Ernährungsphysiologen sogar begrüßt wird.
Bedenklicher als die durch die BSE-Krise ausgelösten Änderungen des Verbraucherverhaltens sind die Auswirkungen auf die Politik, Gesetzgebung und Forschung. Ergebnisse der Risikopsychologie weisen darauf hin, daß Risiken, die vergleichsweise wenig durchschaubar, aufgezwungen und potentiell schrecklich erscheinen, eine besonders geringe Akzeptanz in der Bevölkerung besitzen. Zu solchen Risiken zählen u.a. Kernkraftwerke, bestrahlte Lebensmittel, Agrarchemie, Gentechnologie und sicherlich auch BSE. Solche Technologien bzw Risiken haben nicht nur große Akzeptanzprobleme: Störfälle und Schadensereignisse in diesen Bereichen haben darüber hinaus ein besonders hohes "Signalpotential" (Slovic, 1987), d. h. selbst kleine, unbedeutende Ereignisse besitzen einen außerordentlich hohen Nachrichtenwert. Sie werden als Signal dafür verstanden, daß nicht nur in dem betroffenen Bereich, sondern auch in verwandten Bereichen Gefahren drohen oder Probleme bestehen.
Die BSE-Krise erfüllt alle Kriterien von sogenannten "Schlüsselereignissen" (Kepplinger/Habermeier, 1996). Hierbei handelt es sich um Ereignisse, die erstens eine hohe Aufmerksamkeit beim Publikum besitzen und das Interesse nach zusätzlichen Informationen wecken. Sie erregen damit zweitens die Aufmerksamkeit der Journalisten, die wiederum vermuten, daß das Publikum nach weiteren Informationen verlangt. Da solche Informationen knapp sind, berichten sie nicht nur über das Schlüsselereignis, sondern auch über verwandte Themen, die ohne das Schlüsselereignis nicht in gleicher Weise beachtet worden wären. Schlüsselereignisse stimulieren drittens Aktivitäten von Interessengruppen, die eine Chance sehen, daß ihre Anliegen von den Massenmedien beachtet werden, weil es in ein etabliertes Thema paßt. Diese Entwicklung übt viertens einen Entscheidungsdruck auf Politik, Wirtschaft und Verwaltung usw. aus. Diese reagieren dabei unter Umständen auf Forderungen, die auf fiktiven Entwicklungen beruhen (Kepplinger/Habermeier, 1996, S. 262/263).
So aktivieren Informationen über die BSE-Krise viel latentes Unbehagen über die tierische Produktion allgemein, den Fleischverbrauch, die Ernährungsgewohnheiten und die moderne Landwirtschaft überhaupt - selbst wenn kausale Zusammenhänge nicht bestehen. In vielen journalistischen Produkten werden die Begriffe "Rinderwahn", "Schweinepest", "Massentierhaltung", "tierquälerische Tiertransporte", "Antibiotika und Hormoneinsatz", "Agrarfabriken", "Monokulturen", "Agrarchemie", "genmanipulierte Nahrungsmittel" usw. in einem Atemzug genannt. Dies führt zu einer weiteren Verzerrung der öffentlichen Wahrnehmung moderner Landwirtschaft, zu verstärkten Zweifeln an dem Sinn agrartechnologischen Fortschritts und der Agrarforschung sowie zu ineffizienten politischen Maßnahmen und Gesetzen. Diese Auswirkungen der BSE-Krise könnten weit größeren Schaden für die Land- und Volkswirtschaft verursachen als die Wirkungen der BSE-Krise auf die Agrarmärkte.
In dieser Situation hilft Medienschelte nicht viel weiter. Medienberichte muß man als endogene Variable des gesamten Kommunikationssystems auffassen. Sie sind nicht nur die Ursache sondern auch Folge der Verbraucherverunsicherung. Somit stellt sich immer dringender die Frage nach einem neuen umfassenden Kommunikationskonzept der Landwirtschaft. Bei den dazu erforderlichen Überlegungen wäre die gesamte Kommunikationsstrategie der CMA genauso auf den Prüfstand zu stellen wie die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände und der sonstigen mit der Landwirtschaft verbundenen Institutionen. Die derzeitige Struktur des Einsatzes von kommunikativen Maßnahmen der Landwirtschaft ist im wesentlichen das Ergebnis der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der 60er Jahre. Sie führten 1969 zur Schaffung des Absatzfondsgesetzes und zur Gründung der CMA, der die Aufgabe gestellt wurde, den Absatz mit modernen Mitteln (d.h. hauptsächlich durch Gemeinschaftswerbung) zentral zu fördern. Heute - dreißig Jahre später - haben sich die Rahmenbedingungen wesentlich verändert. In der privaten Wirtschaft hat die Öffentlichkeitsarbeit im Vergleich zu anderen Kommunikationsinstrumenten erheblich an Bedeutung gewonnen (Hilger/Kaapke, 1995, S.33). Der Agrarsektor steht vor dem Problem, daß über ihn immer weniger auf den Märkten und immer mehr in den Parlamenten und von Politikern entschieden wird. Dementsprechend müßten auch in der Landwirtschaft die kommunikativen Aktivitäten von der (vermutlich ineffizienten) Gemeinschaftswerbung zugunsten einer verstärkten und verbesserten Öffentlichkeitsarbeit verlagert werden.
Literatur:
v. Alvensleben, R., 1994: Der Imageverfall bei Fleisch - Ursachen und Konsequenzen. Vorträge zur Hochschultagung 1994. Schriftenreihe der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel, Heft 77, S. 147-155.
v. Alvensleben, R., 1995: Die Imageprobleme bei Fleisch - Ursachen und Konsequenzen. Berichte über Landwirtschaft 73, S. 65-82.
Food Marketing Institute (FMI): Trends in Europe. Washington DC 1995.
Hilger, Angelika und Andreas Kaapke, 1995: PR-Erfolgskontrolle: Ansätze und Instrumente zur Evaluierung markt- und gesellschaftsorientierter Unternehmenskommunikation. PR-Magazin 8, S.33-40.
Kepplinger, H.M.und Johanna Habermeier, 1996: Ereignisserien. Was kann man nach spektakulären Vorfällen über die Wirklichkeit wissen? in: Claudia Mast (Hg) "Markt - Macht - Medien" Band 23. Konstanz, S. 261-272.
Slovic, P., 1987: Perception of Risk. Science 236, P. 280-285.
Prof. Dr. Reimar v. Alvensleben Lehrstuhl Agrarmarketing, Institut für Agrarökonomie der Christian-Albrechts-Universität Kiel Olshausenstr. 40, 24098 Kiel