Helmle, Simone (2001) Von Ideen und Symbolen zum Handeln - Fallstudie über eine Initiative im Bedürfnisfeld Ernährung. [Of Ideas and Symbols to Act - A Case Study on an Initiative in the Food Sector.] In: Krappitz, U.; Kunze, W. and Rojas, A. (Eds.) Selbstbestimmung statt Fremdsteuerung im ländlichen Raum. TUM/DSE, Hemau, pp. 55-69.
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Der Umgang der Gesellschaft mit Umweltschutz und Umweltzerstörung hat sich längst zu einer sozialen Frage entwickelt. Diese betrifft auf der Mikroebene die differenzierte Problemwahrnehmung in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, das Erkennen von persönlichem Handlungsbedarf und die alltägliche Umsetzung in konkreten Handlungsfeldern. Eng verbunden damit ist die soziale Integration in Gruppen, in denen bestimmte Umweltnormen selbstverständlich gelten oder zumindest thematisiert werden. Ob unter den vielfältigen Teilnahmemöglichkeiten beispielsweise ein Bioladen im Wohnort frequentiert wird, geht weit über infrastrukturelle und finanzielle Aspekte hinaus, wenn die persönliche Wertschätzung und die Perzeption der von Umweltgruppen – respektive Betreibern von Bioläden - kommunizierten Ideen betrachtet werden. Trotz des Booms dieses Themas seit den 1970er Jahren, sind die Umweltbewegungen in ihrer Rolle als Produzenten eines sozialen Wandels bis auf wenige Ausnahmen Nischenbewegungen geblieben. Eine dieser Bewegungen ist die 1984 in Oberbayern gegründete Erzeuger- Verbrauchergemeinschaft TAGWERK. Sie fördert eine ressourcenschonende landwirtschaftliche Produktion und den Einkauf der auf diese Weise erzeugten Lebensmittel und ist so eine der vielfältigen kleinteiligen Reaktionen auf die ökologischen Probleme der Gegenwart. Ihr Interesse lag nicht in der Organisation spektakulärer Massenprotestaktionen, sondern sie setzt an der alltäglichen, routinierten Handlung Lebensmitteleinkauf an. Aus der Perspektive der Umweltbewegung sind Initiativen wie TAGWERK ein „wichtiger Motor, der gesellschaftliche Veränderungen in Richtung ökologische Modernisierung in Gang setzen kann“ (DIEKMANN/PREISENDÖRFER 2001:148). Im Rahmen des Nachhaltigkeitsdiskurses und der daraus hervorgehenden Handlungsempfehlungen, stehen solche Initiativen heute als innovative und nachahmenswerte Beispiele für eine öko-sozial orientierte Lebens- und Wirtschaftsweise (vgl. HELD 1998, BUND/MISEREOR 1997, ÖKOM 1998). Dagegen bemerkt MENZEL (1998:19) an den neuen sozialen Bewegungen ihre Verweigerung, die kommunizierten Ideen zu einem neuen Paradigma zu machen. Seiner Meinung nach geben sich die Gruppen mit kleinen Lösungen zufrieden. Fehlt dieses Paradigma tatsächlich, so bleibt es fraglich, ob eine Multiplikation der kleinen Modelle die erwarteten großen Veränderungen herbeiführt.
Mit dem Ziel der Erhaltung bzw. neuen Etablierung lokaler Kreisläufe und möglichst hoher Transparenz von der Produkterzeugung bis zur Vermarktung möchte TAGWERK sein Einzugsgebiet nicht beliebig ausweiten. Über das bloße Produkt hinaus sind die Erzeugnisse Träger der TAGWERK-Ideen und als solche im Handel nicht beliebig plazierbar. Integration und Ausgrenzung von Verbrauchern entstehen weit über das Wissen hinaus durch eine gefühlsmäßige Nähe bzw. Distanz zur Idee. Dies betrifft in starkem Maße deren nicht aktiv kommunizierte Teile. So lange die Ideen nicht in einen Rahmen eingebettet sind, der den Bedürfnissen größerer Bevölkerungsgruppen entspricht, unterliegen sie der Gefahr, zu Leerformeln zu werden. Möchte TAGWERK in Zukunft mehr Breitenwirkung erzielen, ist eine Änderung der Kommunikationsstrategie unabdinglich. Die Verbreitung der Idee erfolgt über einen aufklärerischen, vernunft- und wissensbasierten Ansatz. Das Bild des Verbrauchers zeigt den bewussten, aufgeklärten, sich über gedruckte Information eine Meinung bildenden Menschen, der sein Handeln überwiegend an aktiv angeeignetem Wissen ausrichtet. Da die TAGWERK-Aktivisten glauben, dass Verbraucher für eine Verhaltensänderung den gleichen Weg wie sie selber beschreiten, praktiziert TAGWERK zur Kommunikation der Ideen Formen der kognitiven Mobilisierung. Ziel dieser Mobilisierung ist, über Aufklärung und Wissen die Gedanken und Einstellungen der Konsumenten so zu orientieren, das sie aus eigenem Antrieb ihre Verhaltensmuster ändern. Die Gruppe der Gründergeneration ist selbstreferentiell, selbstbestimmt, experimentierfreudig und sie ist getrieben von der eigenen Entwicklungsfähigkeit. Die Selbstcharakterisierung als Pionier wird sehr stark auch zur Unterscheidung von den Konkurrenten im Naturkostsektor gewählt. In der Pioniersituation drückt sich nach wie vor für die TAGWERKaktivisten die umfassende Idee aus, die aus eigener Sicht konsequent und aus eigener Leistung umgesetzt wird. Vor allem auf die Fördermittel, die den jungen Regionalvermarktungsinitiativen zur Verfügung stehen, reagiert die Gruppe zwiespältig. Die bisherige Selbstbestimmung gab Kraft und Dynamik für den Eigenantrieb und die Aktivierung eigener Ressourcen. Zunehmend fühlt sich die Gruppe aber durch den Druck der Kunden nach einem anderen Sortiment sowie dem Preisdruck durch die lokale Konkurrenz und durch Ökobilligmarken fremdbestimmt. In dieser Situation löst die Förderung der anderen Initiativen Ängste, etwas Neid, aber auch Trotz aus. Eine der Folgen davon ist, dass die Darstellung der eigenen Stärke hauptsächlich in der Binnensicht erfolgt. Über die an die Produkte gekoppelte Idee unterscheidet sich TAGWERK erheblich von den neu entstehenden Biosupermärkten, die eine vergleichbare Produktpalette anbieten. Diese Unternehmen treten jedoch mit überwiegend wirtschaftlichen Zielen auf dem Markt auf. Die Vordenker tragen damit die hohen Kosten ihrer eigenen Ideen alleine. Sie empfinden heute den Druck, zu (re)agieren, sich zu rechtfertigen und sich deutlich abzugrenzen.
Summary translation
Ideas transcending issues of environmental protection and health do not have significance in today’s eco-food market. Smaller and more ancient social movements, thus, get into a conflict between withstanding growing market pressure and at the same time not violating their ideas which are meant to reach long way into daily life. As an example, in this paper a corporate body oriented towards ideas of ecology and regionality is examined. Beyond their physical nature the products of this body should carry ideas. Transferring these ideas onto the product, over and above the established rules of eco-farming is done according to group specific and geographical features. This part of ideas is communicated actively by the body. Another part, i.e. the one regarding individual life style, is not communicated actively. Integration into the corporate body and exclusion of consumers in this regard come into existence mostly through consumer’s emotional proximity or distance. Here we may find communal and experimental life styles among consumers or adherence to and identification with self-reflexive groups.
EPrint Type: | Book chapter |
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Keywords: | Lebensstil, Lebensauffassung, Kaufverhalten, Kaufmotiv, Verbraucherbefragung, Produktinforamtion, Umweltschutz, soziale Bewegung |
Subjects: | Food systems > Community development Farming Systems |
Research affiliation: | Germany > Other organizations Germany |
Deposited By: | Helmle, Dipl. Ing. agr. Simone |
ID Code: | 1609 |
Deposited On: | 13 Nov 2003 |
Last Modified: | 12 Apr 2010 07:28 |
Document Language: | German/Deutsch |
Status: | Published |
Refereed: | Not peer-reviewed |
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